Foto: Staatsweingut Meersburg - Umgeben von Reben oberhalb des Meersburger Hafen

Wasser zu Wein machen zu können wäre am Bodensee eine wertvolle Kunst. Das schaffen die Winzer nicht, doch sie haben Alternativen. Mit Liebe, Fachkenntnis und einem stetig wachsenden Qualitätsanspruch nutzen sie die bevorzugte Lage am See und keltern inzwischen Weine, die internationaler Konkurrenz standhalten können. Der Weinbau hat hier eine lange Geschichte und prägt die Kulturlandschaft der Region entscheidend.

Vor allem zwischen Überlingen, Meersburg und Immenstaad sind die steilen Lagen am Ufer mit Reben bestockt. In den deutschen Anbaugebieten – der badische Bereich Bodensee verfügt hier mit 555 Hektar über den Löwenanteil der Rebflächen – haben sich traditionsreiche Genossenschaften und ambitionierte Weingüter gegenseitig beflügelt. Seit Anfang der 90er Jahre gewann der Bodenseewein auch über die Region hinaus zunehmend an Ansehen, wie Preise und gute Resultate bei großen Wettbewerben zeigen.

Auch in der Schweiz erzeugen meist kleinere Weingüter an Hochrhein und Untersee, in den Tälern des Kantons Thurgau bis zum Appenzellerland am Alpenrhein Weine mit hohem Anspruch.

Bevorzugtes Seeklima

Als riesiger Wärmespeicher wirken sich die Wassermassen des Sees mäßigend auf das Klima aus. Sie verringern die täglichen und die jahreszeitlichen Temperaturschwankungen – eine Wohltat für die Wärme liebenden Weinreben, die daher trotz der ungewöhnlich hohen Lage des ganzen Anbaugebietes (zwischen 400 und 530 Meter) bestens gedeihen. Von der Sonne besonders verwöhnt werden die Hanglagen direkt am Ufer, die von den Reflexionen der Wasseroberfläche zusätzlich profitieren. Der Boden erwärmt sich, die Blätter erhalten mehr Licht. Auf der anderen Seite sorgt die Höhenlage auch in der warmen Jahreszeit für eine gewisse Abkühlung in den Nächten. Dies ist ein wesentlicher Faktor, der den Weinen ihre Fruchtigkeit und Frische erhält. In diese Richtung geprägt sind die Gewächse direkt am See auch von den eiszeitlichen Moränenböden. Noch mehr Mineralität gibt das vulkanische Gestein im nahe gelegenen Hegau rund um den Hohentwiel an die Reben ab. Unter der markanten Burgruine bei Singen befinden sich zudem die höchstgelegenen Weinberge Deutschlands. Dessen südlichstes Weingut liegt mit dem Engelhof am Hochrhein. Schwemmsandböden bilden in den Lagen um Gailingen auch die Grundlage für kräftige Rotweine.

Geschichte und Geschichten

Es überrascht daher nicht, dass der Weinbau am See eine lange Tradition hat. Prähistorische Funde bei Steckborn am Untersee und auf der Höri legen nahe, dass es Wildreben schon lange vor den Römern hier gegeben hat. Die brachten später neue Sorten wie den Elbling und manche Begriffe wie den „Torkel“ (von „torquere“ für drehen) für die mächtigen Pressen, die in einigen Museen an die alten Techniken erinnern. Die erste dokumentierte Weinkultur wird Karl Martell zugeschrieben, dem Hausmeier der Merowinger, der um 724 erste Reben bei Ermatingen am Untersee gepflanzt haben soll. Das Kloster Reichenau begann im Jahr 818 mit dem Weinbau, bald darauf musste Abt Walahfrid Strabo schon zahlreiche Rebleute auf die Insel holen, um die Arbeit zu bewältigen. Der Spätburgunder (Pinot Noir) soll um 884 erstmals Wurzeln am Bodensee geschlagen haben. „Karl der Dicke“ (König Karl III.), Urenkel Karls des Großen, ließ in Bodman den „Königsweingarten“ anlegen. Soziale „Spitalstiftungen“, wie in Konstanz und Überlingen, oder die Klöster, wie auf der Reichenau, in Salem oder Weingarten, bauten die Rebflächen stark aus und begründeten damit ihren Wohlstand. Bisweilen waren die Ernten im Mittelalter so üppig, dass der Rebensaft – wie in den Annalen Überlingens zu lesen ist – in den See gekippt werden musste. Mit einer enormen Rebfläche von 268 Hektar verfügte die freie Reichsstadt Ende des 16. Jahrhunderts über den umfangreichsten Weinbau am See und produzierte rund 2,5 Millionen Liter Rebensaft. Kein Wunder, dass da vor der nächsten Ernte noch manches Fass geleert werden musste. Dass darauf der Begriff „Forelle blau“ zurückzuführen ist, lässt sich allerdings nicht belegen. Heute sind die Weinberge hier auf ein Zehntel geschrumpft, doch das „Spitalweingut zum Heiligen Geist“ hält die ­Tradition auf 25 Hektar weiter aufrecht.

Vielfalt der Rebsorten

Als typischer Seewein schlechthin gilt heute der weiße Müller-Thurgau, der es mit Fruchtigkeit und frischer Säure zu besonderer Qualität bringen kann und der hier auch seine Wurzeln hat. Die ersten Sämlinge seiner Neuzüchtung hatte der Schweizer Weinbauforscher Dr. Hermann Müller (1850-1927), der sich später selbst „Müller-Thurgau“ nannte, im Jahr 1894 ausgepflanzt. Für den Entdecker war es eine Kreuzung „Riesling x Silvaner“ und dies steht in der Schweiz heute noch auf vielen Etiketten und Weinkarten. Inzwischen erkannten die Züchtungsforscher jedoch die dem Gutedel (Chasselas) nahe stehende Rebsorte „Madeleine Royale“ als genetischen Partner des Rieslings.

Mut zur Innovation bewies der Immenstaader Winzer Joseph Röhrenbach, der 1925 als Gutsverwalter des Markgrafen von Baden auf Schloss Kirchberg die ersten Reben von Arenenberg klammheimlich über den See nach Deutschland schmuggelte und damit gegen den Willen seines Arbeitgebers deren Siegeszug einleitete. Heute ist der Müller-Thurgau mit rund 35 Prozent neben dem Blauen Spätburgunder die am weitesten verbreitete Rebsorte am See.

Der jüngste Rotweinboom brachte allerdings den Spätburgunder (Pinot Noir) mit über 40 Prozent an die Spitze. Er besticht durch seine Fruchtaromen und wird ganz unterschiedlich ausgebaut – als leichter Rotwein im Stahltank oder nach starker Ertragsreduktion und Reifung im Holzfass mit vielschichtiger Struktur und großer Dichte im französischen Stil. Der Spätburgunder ist auch die Grundlage für den klassischen „Weißherbst“, der mittlerweile auch ohne Edelfäule als „Rosé“ gekeltert wird.

Gute Ergebnisse zeigt das Anbaugebiet auch bei Weißburgunder (Pinot blanc) und Grauburgunder (Pinot gris), die hier zunehmend an Boden und an Freunden gewinnen. Doch darüber hinaus wächst die Sortenvielfalt, an die sich die Winzer heranwagen. Vereinzelt werden Chardonnay und Sauvignon blanc angebaut, selbst mit dem spät reifenden Riesling lassen sich an den besten Standorten ganz erstaunliche Resultate erzielen, wie das Staatsweingut und das Weingut Aufricht in Meersburg beweisen.

Weingüter und Genossenschaften

In Hagnau gründete der Pfarrer und Schriftsteller Heinrich Hansjakob im Jahr 1881 den ersten Winzerverein in Baden, um die Weinbauern vor Preisdumping zu schützen. Mit 135 Hektar verfügt die Genossenschaft über die größten Anbauflächen und hat ein attraktives Winzerhaus geschaffen. Dass auch Winzervereine ihre Mitglieder auf einen hohen Anspruch verpflichten können, hat Hagnau in jüngerer Zeit eindrucksvoll bewiesen.

Ein Signal setzte das Staatsweingut Meersburg (61 Hektar) mit einer eigenen Qualitätspyramide. Für die „Premiumweine“ werden Trauben bei stark reduziertem Ertrag nur aus der besten Parzelle einer Lage verwendet. Lagen- und Gutsweine kommen außer von den am Seeufer gelegenen Meersburger Steillagen wie „Rieschen“, „Bengel“ oder „Jungfernstieg“ auch vom „Olgaberg“ am Hohentwiel, der bis auf 530 Meter hinaufreicht, und von der „Ritterhalde“ in Gailingen am Hochrhein.

Doch auch die kleinen privaten Weingüter setzen neue Akzente. Zu den Aufsteigern gehören Kristin und Thomas Kress (Hagnau) und Peter Krause (Meersburg), auf langer Tradition fußt das Weingut Dilger in Bermatingen. In der anspruchsvollen Gastronomie einen Namen erworben hat sich auch der Meersburger Winzer Thomas Geiger im Ortsteil Riedetsweiler. Der leidenschaftliche Motorradfahrer wird in Fachkreisen auch für seine hochwertigen Destillate gelobt.

Zu den „Kleinen“ kann man Manfred und Robert Aufricht nicht mehr zählen, die im Landschaftsschutzgebiet bei Meersburg („Sängerhalde“) und in weiteren guten Lagen rund 20 Hektar bewirtschaften. Intensive Rebarbeit und sensible Kellertechnik gehen bei ihnen Hand in Hand und haben schon zahlreiche preisgekrönte Ergebnisse hervorgebracht, beim Spätburgunder wie beim Riesling. Der hohe Anspruch korrespondiert bei Aufricht mit einem guten Marketing, von dem das Image des ganzen Bodensees als Weinanbaugebiet profitiert.

Der größte private Winzer in Deutschland ist das markgräflich-badische Haus in Salem mit rund 100 Hektar bester Reblagen zwischen der Birnau und Schloss Kirchberg, die durch kleinere Flächen bei Schloss Staufenberg in Durbach (Ortenau) ergänzt werden. Auch hier wurden neue Weichen in der Qualität gestellt. Solide regionaltypische „Gutsweine” untermauern den Anspruch hochwertiger Lagenweine, die allesamt in Schloss Salem ausgebaut werden. Dort informiert auch ein kleiner „Schauweinberg“ über die wichtigsten Rebsorten.

Am württembergischen und am bayerischen Seeufer ist der Weinbau schon aufgrund der Topographie weniger ausgeprägt. Eine sehr gute Orientierungshilfe bietet die traditionsreiche Weinkellerei Steinhauser in Kressbronn. Hier werden nicht nur die Produkte einer örtlichen Erzeugergemeinschaft ausgebaut. Sie hält auch eine sehr große Auswahl an anderen Seeweinen bereit und selbst erzeugte Edeldestillate.

Rund um Nonnenhorn gedeihen die besten bayerischen Seeweine. Der „Nonnenhorner Sonnenbichl“ von den Winzern Josef Gierer und Peter Hornstein ist dabei besonders hervorzuheben. Vielfalt und Qualität bieten auch die Schweizer Winzer zwischen Schaffhausen, Thurgau und Appenzeller Land. Hier begegnet man alten Sorten wie dem Elbling oder Räuschling, aber auch neuen Trends wie dem gehaltvollen roten Syrah oder dem Regent.

Mit dem Schlossgut Bachtobel in Ottoberg bei Weinfelden (Thurgau) einen guten Namen erworben hat der 2008 unerwartet früh verstorbene Winzer Hans-Ulrich Kesselring. Dessen Arbeit setzt inzwischen Johannes Meier mit dem gleichen Ehrgeiz fort. Favoriten waren stets die verschiedenen Spielarten des Pinot Noir, die international gut mithalten können; ja, selbst für die klassischen Rebsorten für das Cuvée eines Bordeaux – Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc und Merlot – hatte Kesselring erfolgreich den Weg bereitet. Ein anderes Aushängeschild ist Urs Pircher, dessen Weingut in Eglisau (Kanton Schaffhausen) liegt. Unterhalb des Rheinfalls verfügt er über steile Südlagen direkt am Fluss und nützt dieses Potenzial für Spätburgunder, Regent und Pinot noir. Jürg Saxer vom Weingut Bruppach in Neftenbach bei Winterthur oder Niklaus Zahner mit dem Rebgut Bächi in Truttikon sind weitere Namen, die sich zu merken lohnen.

Wer nicht einzelne Weingüter aufsuchen und sich selbst einen Überblick verschaffen will, der findet im Meersburger „Weinhaus Georg Hack“ eine vorzügliche Adresse mit unabhängigem Sachverstand. In der preisgekrönten Galerie findet der Weinkenner über 800 gute Weine aus Europa und Übersee. Neben seinem großen internationalen Angebot ist das seit 1951 bestehende Weinhaus nach wie vor auch der Region verpflichtet und führt Gewächse verschiedener Erzeuger. Ja, bisweilen lassen sich Christian und Klauspeter Hack sogar ein eigenes Cuvée vom See kreieren.

Einen Besuch wert ist auch das „Vinorama“ im schweizerischen Ermatingen am Untersee. Das erst seit 2003 bestehende Informationszentrum bietet in schöner Atmosphäre und hinter historischen Mauern eine Fülle von Fakten zum Weinbau am Bodensee – samt einer Auswahl an Kostproben.

Als Farbtupfer bereichern auf einigen Weingütern sogenannte Besen- oder Straußenwirtschaften das gastronomische Spektrum, in Österreich firmieren sie unter „Buschenschank“ oder „Heuriger“. In rustikaler Atmosphäre lässt sich der Wein aus der Region ungezwungen genießen und schafft in der Gemeinschaft bei einem deftigen Imbiss schnell gute Laune. In der Regel sind die Besenwirtschaften allerdings nur saisonal geöffnet. Als einer der wenigen österreichischen Winzer am See betreibt Joseph Möth in Bregenz in der Langener Straße seinen „Heurigen“, der von April (der Saisonstart variiert) bis Mitte September geöffnet ist (16 bis 23 Uhr). Bei Peter Hornstein im bayerischen Nonnenhorn heißt das gemütliche Lokal „Rädle-Wirtschaft“ und ist rund um einen Torkel aus dem 16. Jahrhundert eingerichtet (geöffnet nur Juli und August). Beliebte Treffpunkte am badischen Ufer sind die Besenwirtschaften von Thomas Geiger in Meersburg-Riedetsweiler (Ende März bis 1. Mai und September) und auf dem Bermatinger Weingut Dilger (Juli und Oktober, im Sommer Bewirtung auf dem Hof). Eine ansprechende Atmosphäre bietet die „Weinstube Markgraf von Baden“, die im kleinen Stetten direkt an der Hauptstraße gelegen ist und in der Küche typische kleine Winzerspeisen zaubert.

Ein großer Tag für den Seewein ist traditionsgemäß der Josefstag am 19. März. Dann wird im Neuen Schloss von Meersburg die neue Bodensee-Weinprinzessin gekürt. Die gekrönte Dame ist zwar die Repräsentantin der badischen Erzeuger am Bodensee, doch ist sie stets ein hübsches Aushängeschild für die ganze Region. Gefordert ist sie auch auf dem großen „Bodensee-Weinfest“, das Anfang September in Meersburg stattfindet, beim Salemer Weinfest Mitte August und den zahlreichen kleineren Huldigungen für die feinen Gewächse vom Bodensee. (hpw)